„Ab der Saison 2015/2016 können Eishockeyfans mithilfe von
SAP-Analyse-Tools Eishockeystatistiken verfolgen.“
Mit diesem Satz kündigte der schweizerische Eishockeyverband
die Zusammenarbeit mit dem neuen Partner an, der im Bereich Statistik und
Analytik das Schweizer Eishockey auf Vordermann bringen sollte. Die Erwartungen
sind sehr hoch. Wie dies im Genauen ausschauen wird, wird sich spätestens nach
dem ersten Saisonspiel zeigen. Man darf also gespannt sein, ob die
selbsternannte beste Liga Europas, die National League A, endlich den Schritt ins 21.
Jahrhundert machen wird – zumindest was die Statistik anbelangt (die Analytik
wäre der nächste grosse Schritt). Wie eine professionelle Statistik ausserhalb
der NHL ausschaut, sieht man anhand der schwedischen Liga (SHL):
Zumindest auf diesem Level sollte sich die Schweizer Liga
kommende Saison bewegen. Alles andere wäre ein Stillstand bzw. eine Fehlaussage
des Verbands.
Wenn man bedenkt, dass der gleiche Partner ab der kommenden
Saison eine langjährige Partnerschaft mit der NHL eingehen wird und auch dort
in der Statistik und Analytik aktiv sein wird, muss dies auf jeden Fall möglich sein.
Zuverlässige Daten
sind äusserst wichtig
Allerdings bedarf es nicht nur die Einführung gewisser Kategorien
– viel wichtiger ist eine genaue Messung der Daten, damit man sich auf die
Qualität der Daten verlassen kann. Dies erfordert jedoch, dass die Statistiker,
welche diese Daten erheben, auch richtig geschult werden und das Selbe bzw. die
selbe Situation gleich messen. Bspw. bei einem Bully, bei dem im ersten Moment
nicht klar ist, wer es für sich entscheidet. Da muss Konsens und das richtige
Gespür vorhanden sein, sonst hat man zwar x-professionelle Kategorien, von
welchen aber die Daten unterschiedlich erhoben wurden und somit nicht brauchbar
sind. Hier lohnt sich eine Investition, um kompetente Statistiker zu schulen
und somit eine saubere Datenqualität hinzubekommen.
Die Aussage von Willy Vögtlin vom Verband
Vor allem, wenn man solche
Aussagen hören muss: Willy Vögtlin, Verbandsangestellter, hat mir vor zwei oder
drei Jahren allen Ernstes versucht zu überzeugen, dass ein Ersatztorhüter, der
nicht zum Einsatz kommt, in der Statistik „Spiele“ ebenfalls als Spiel notiert
wird. So wurde es dazumal auch tatsächlich auf der offiziellen Seite der Liga geführt. Sprich: wenn ein
Torhüter #1 alle 50 Meisterschaftsspiele komplett bestritt und der Torhüter
#2 keine einzige Einsatzminute in einer Saison aufwies, aber immer auf der
Ersatzbank sass, beiden gleich viele Spiele in der Statistik notiert wurden,
nämlich 50 Spiele… (!) Katastrophe! Immerhin konnte jemand Vögtlin davon wegbringen. Dies wurde in der Zwischenzeit
angepasst und wird nun richtig geführt.
Ob der Verband nun einen grossen Pool an kompetente Statistiker für die Erhebung der verschiedensten Statistiken schulen wird, wage ich zu bezweifeln. Daher gehe ich davon aus, dass wir auch
in der kommenden Saison nicht sehen können, wer in der NL A bspw. der beste
Bullyspieler in der defensiven Zone ist, wer am meisten erste Assists im
Powerplay erzielt oder welcher Torhüter die beste Fangquote im Unterzahl aufweist.
Ihr geht mit mir einig: diese Daten wären relativ einfach zu erheben.
SHL als Vorbild
Ich hoffe trotzdem, dass ich positiv überrascht werde und
wir in der kommenden Saison auf die selbe Stufe kommen, wie die schwedische
SHL. Die SHL ist in dieser Hinsicht sehr fit und befindet sich aus
Statistik-Sicht auf einer ähnlichen Stufe wie die NHL. Wie zuverlässig die
Messungen sind, kann ich aber nicht beurteilen. Gegenüber der SHL steckt die
Schweiz dagegen statistikmässig in den Kinderschuhen, analytikmässig ist
öffentlich noch gar nichts zu sehen. In wie weit die Analytik öffentlich in
Schweden fortgeschritten ist, entzieht sich ebenfalls meinen Kenntnissen. Ich
gehe bei uns in der Schweiz aber davon aus, dass zumindest eine leise Analytik
bei den Clubs betrieben wird. Hier sollte der Einfluss der NHL-erfahrenen Trainer
wie Marc Crawford gross sein. Dieser Analytik-Berich sollte bzw. muss sich in
naher Zukunft professionalisieren. Dies bringt nicht nur die Schweizer Clubs einen
Schritt weiter, sondern das ganze Schweizer Eishockey würde - auch hinsichtlich der internationalen Turniere (WM, Olympia) - davon profitieren.
In der NHL hat sich die Analytik in den letzten Jahren nach
Jahren der Unsicherheit (die Daten wurden von „professionellen Amateuren“ zwar
erhoben, aber nicht wirklich einer grossen Beachtung geschenkt) verankert und
nimmt mittlerweile eine grosse Stellung bei den Clubs ein. Auch personalmässig
wurde aufgestockt und teaminterne Analytik-Spezialisten rekrutiert. Die überaus
ausführlichen Statistiken in der NHL bilden die Basis der Analytik. Corsi,
Fenwick oder Zone Entries sind nicht mehr nur Modewörter bei den Coaches,
sondern Bestandteil des Coachings.
Beispiele
In der Schweiz sucht man aber bei der Basis vergeblich um
zahlreiche banale Werte:
1. Beispiel: Anzahl Siege eines Torhüters.
Wie simpel… Ein weiser nordamerikanischer Eishockeyfachmann
hat mal gesagt: „Der beste NHL-Torhüter einer jeden Saison ist jener, welcher am
meisten Meisterschaftssiege aufweisen kann. Der beste NHL-Torhüter der Playoffs
ist jener, welcher am Schluss den Stanley Cup in die Höhe stemmt.“ Ich würde
nicht so weit gehen, denn allgemein gilt, dass Carey Price und Henrik Lundqvist
aktuell die besten Torhüter der Welt sind. Siehe da – bezüglich der
Meisterschaft stimmt die oben genannte Aussage: Price gewann am meisten Spiele.
Auf die Playoffs bezogen waren es Ben Bishop und Corey Crawford, welche die
meisten Siege aufweisen konnten. Sehr gute Torhüter, aber nicht auf der
gleichen Stufe wie Price und Lundqvist.
Kommen wir zurück in die Schweiz: diese einfache und zugleich äusserst
bedeutende Statistik ist nirgends auf der Liga-Seite zu finden (!).
2. Beispiel: Anzahl Shutouts eines Torhüters
Ein weiterer Wert, der in der Schweiz nicht zu finden ist
und zwingend standardmässig in eine Goalie-Statistik integriert sein muss.
3. Beispiel: Tore (und Assists) im Überzahl
Die Powerplay-Spezialisten der Schweiz werden in der Schweiz
Spezialisten genannt, nur schon weil sie vom Coach im Überzahlspiel eingesetzt
werden. Doch die wahren Könner in dieser Kategorie der Special Teams sind jene
die punkten. Hierfür gibt’s keine (öffentliche) Dokumentation.
4. Beispiel: Shootout-Spezialisten
Wer kennt den effizientesten Penalty-Schützen seines
Lieblingsvereins?
5. Beispiel: Hits und Blocked Shots
Wer gehört zu den am härtesten spielenden Akteuren der
Schweizer Liga? War es Timo Helbling in der letzten Saison, weil er am meisten
Strafminuten kassierte? Dies wäre keine gute Folgerung. Die Kategorie Hits,
also korrekte Checks, würde einen Hinweis auf die Härte machen. Bei den
blockierten Schüssen würde man zudem eine Tendenz sehen, welcher Verteidiger in
der eigenen Zone einen guten Job macht. Nicht, dass dieser Wert den besten
Verteidiger auszeichnen würde. Doch einen guten Hinweis auf das Gesamtpaket eines
Spielers gibt diese Statistik alleweil ab.
6. Beispiel: Faceoff-Statistiken
Wie bereits erwähnt: die Faceoff-Statistiken findet man
nirgends, obwohl alle Teams dies intern zur Ermittlung ihrer Bully-Spieler
benötigen. Sowohl in der offensiven als auch in der defensiven Zone (teamintern
ebenfalls links und rechts): diese sind von grosser Bedeutung. Bullygewinn
gleich Puckbesitz. Wie wichtig die Faceoffs sind, zeigt sich am besten im Über-
und Unterzahlspiel.
7.
Beispiel: Time On Ice per game
Im Jahr 2015 längst nicht mehr etwas Weltbewegendes, sondern
gehört für mich zum Standard. Genug gesagt.
Fazit
Wenn dann einmal diese Basis errichtet ist, können wir in
der Schweiz den nächsten Schritt zur Analytik wagen. Doch ohne eine zuverlässige
und ausführliche Basis mit den vielen verschiedenen Kategorien der Statistik
bleibt uns in vielen Fällen nichts anders übrig, als zu warten bis die
selbsternannte beste Liga ausserhalb der NHL mit ihrem neuen Partner die nächsten
Schritte angeht. Ob die National League A in Zusammenarbeit mit dem neuen
Partner auf die kommende Saison 2015/16 mit einer ähnlichen Palette an
Statistiken wie die SHL auffährt, wage ich zu bezweifeln. Doch lasse ich mich zumindest
einmal vom Verband positiv überraschen. Es wäre enorm wichtig für den nächsten
Schritt der Analytik und daher auch für die Zukunft des gesamten Schweizer
Eishockeys. Es bleibt zu hoffen, dass Corsi, Fenwick oder Zone Entries auch in der Schweiz schon bald mal salonfähig werden, damit wir hier den internationalen Anschluss nicht verpassen.
Weiterführende Artikel:
Ein kürzlich erschienener Artikel zum Thema Analytik bzw. eine Analyse davon:
http://www.tsn.ca/talent/how-analytics-forecast-future-success-and-failure-1.355108
Hier eine Übersicht von möglichen Kategorien der Analytik:
http://war-on-ice.com/glossary.html
Eine etwas veraltete Analyse unserer Schweizer Verteidiger in der NHL. Hier sieht man, in welche Richtung die Analytik gehen kann und welche Erkenntnisse man u.a. gewinnen kann:
http://www.emptynet.ch/2014/06/20/wie-gut-sind-die-schweizer-verteidiger-wirklich/#more-214
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Bemerkung: Als Grundlage dieses Artikels wurde die Ligaseite
auf der Verbandshomepage (www.sihf.ch) verwendet. Die vielen anderen Anbieter
wie bspw. www.eliteprospects.com oder www.hockeyfans.ch, die zum Teil detailliertere
Statistiken abbilden, wie die offizielle Ligaseite, wurden nicht berücksichtigt.