U20-WM: Das Desinteresse der Schweiz am zweitbesten und vielleicht
spektakulärsten Eishockeyturnier
Die U20-WM ging gestern mit einem weiteren spektakulären Spiel zu Ende. Der
Finne Kasperi Kapanen machte das, wovon die meisten Eishockeyaner im
Kindesalter träumen und beim Spielen jeweils mehrfach imitieren: Kapanen schoss
vor eigenem Publikum den entscheidenden, goldbringenden Treffer in der
Verlängerung zum 4:3-Sieg gegen Russland. Diese Szene ist vergleichbar mit dem
Golden Goal von Sidney Crosby an den Olympischen Spielen in Vancouver 2010, da
sowohl Kanada, als auch die Finnische U20 in der letzten Minute der regulären
Spielzeit den Ausgleich hinnehmen mussten. Mittlerweile ist die U20-WM zum
zweitwichtigsten und zweitbesten Eishockeyturnier überhaupt aufgestiegen. An 10
Spieltagen strömten über 215‘000 Fans in die beiden Arenen in Helsinki, was
einen Schnitt von über 7‘000 pro Spiel bedeutete. Ein europäischer U20-WM Rekord.
Der Weltrekord wurde 2012 in Calgary und Edmonton erreicht, als über 450‘000
Fans die U20-WM besuchten – einen sagenhaften Schnitt von 14‘688 pro Spiel. Man
muss sich das vorstellen: Im damaligen Relegationsspiel der Schweiz gegen
Dänemark wohnten der eigentlich für Kanadier unbedeutenden und wenig
spektakulären Affiche über 9‘000 (!) Zuschauer bei. Im Gruppenspiel gegen
Lettland 13‘666 (!) und gegen Russland sogar 15‘390! Aufgrund dieses enormen
Interesses in Kanada wird die U20-WM vorläufig bis 2022 alle zwei Jahre in
Kanada stattfinden. Besonders für die Spieler der kleineren Nationen, die sich in
diesem Alter nicht gewohnt sind vor einer grossen Zuschauerkulisse zu spielen ein
grandioses Erlebnis und die beste Motivation über sich hinaus zu wachsen.
Probleme fangen beim eigenen Verband an
In der Schweiz werden nicht mal die Schweizer Spiele an der U20-WM am
Fernsehen ausgestrahlt. Das Schweizer Fernsehen überträgt zu dieser Zeit,
zumindest in der ersten Hälfte des U20-Turniers, ein Grümpelturnier, den
Spengler Cup und bestimmt damit die Agenda der Schweizer Eishockeyfans zwischen
Weihnachten und Neujahr. Der Skandal im November, als der Schweizer U20-Coach
John Fust anstatt seinem U20-Team den letzten Schliff für die U20-WM zu geben, die
A-Nati am unbedeutenden Deutschland-Cup führen musste, zeigt, dass nicht mal der
Schweizerische Eishockeyverband die eigene U20-Mannschaft und somit die U20-WM
ernst nimmt. Wie sollen denn die Schweizer Eishockeyfans das Turnier ernst
nehmen? Ob die Absage von Kevin Fiala – der von seiner Organisation, der
Nashville Predators, zwar die Freigabe erhielt, sich aber gegen die U20-WM
entschied – einen Zusammenhang mit der Situation im Verband hat, bleibt sein
Geheimnis. Spieler von anderen Nationen in ähnlichen Situationen wie Fiala, u.a.
David Pastrnak (CZE, Boston Bruins), Jake Virtanen (CAN, Vancouver Canucks)
oder auch der Finalheld Kaspari Kapanen (FIN, Toronto Maple Leafs) drängten
ihre Klubs regelrecht, damit sie an der U20-WM dabei sein konnten.
U20-WM erst- und letztmals 1998 in der Schweiz
Kapanen kehrt nun als Held nach Nordamerika zurück und wird mit diesem
Erlebnis im Rücken ausserordentlich gestärkt an seinem Ziel NHL weiterarbeiten
können. In Finnland schauten sich 1.93 Mio. Zuschauer im Schnitt die
Finalpartie am finnischen Fernsehen an. Der Spitzenwert betrug 2.4 Mio. Zuschauer:
Das sind über 40% (!!) der gesamten finnischen Bevölkerung, die sich den Final
an einem Dienstagabend anschauten! Wahnsinn!
Nach dem Erlebten der letzten zwei Wochen in Helsinki, diese
Identifikation mit ihrem Team, diese Euphorie und diese Begeisterung muss es
das Ziel des Schweizer Verbands sein so rasch als möglich die U20-WM in die
Schweiz zu holen. Allerdings ist dies erst für 2023 möglich. Übrigens: In der
36-jährigen U20-WM Geschichte fand die U20-WM das letzte und einzige Mal 1997
in der Schweiz statt. Genf und Morges waren die Austragungsorte. Damit die
Schweizer U20-Mannschaft die nötige Anerkennung findet, die sie verdient, benötigt
das Land nicht nur eine Heim-WM, sondern ebenfalls ein Erfolgserlebnis dabei,
damit die Euphorie und die Begeisterung für die U20-Mannschaft entfacht werden
kann. Bis dahin können wir einfach hoffen, dass das Schweizer U20-Team nicht in
die B-Gruppe abgestiegen ist. Sollte die Schweizer U20-Auswahl in den kommenden
Jahren uns alle überraschen und wie in 1998 Bronze holen: Die wenigsten Fans
könnten diesen Erfolg einordnen.
Verband in der Pflicht
Unsere Zukunft bzw. unsere zukünftigen Schweizer Aushängeschilder – sei es
in der NHL, in der NL A oder in der Schweizer Nationalmannschaft – hätten es mehr
als verdient, wenn der eigene Verband, das Fernsehen und schlussendlich die
Eishockeyfans den besten Talenten des Landes mehr Beachtung schenken würden. Nur
dann könnten wir davon träumen, dass das finnische Märchen auch mal in der
Schweiz realisierbar wäre.