Montag, 7. September 2015

National League A: Die Statistik im Schweizer Eishockey - bis heute auf dem Stand des letzten Jahrhunderts

„Ab der Saison 2015/2016 können Eishockeyfans mithilfe von SAP-Analyse-Tools Eishockeystatistiken verfolgen.“

Mit diesem Satz kündigte der schweizerische Eishockeyverband die Zusammenarbeit mit dem neuen Partner an, der im Bereich Statistik und Analytik das Schweizer Eishockey auf Vordermann bringen sollte. Die Erwartungen sind sehr hoch. Wie dies im Genauen ausschauen wird, wird sich spätestens nach dem ersten Saisonspiel zeigen. Man darf also gespannt sein, ob die selbsternannte beste Liga Europas, die National League A, endlich den Schritt ins 21. Jahrhundert machen wird – zumindest was die Statistik anbelangt (die Analytik wäre der nächste grosse Schritt). Wie eine professionelle Statistik ausserhalb der NHL ausschaut, sieht man anhand der schwedischen Liga (SHL):

Zumindest auf diesem Level sollte sich die Schweizer Liga kommende Saison bewegen. Alles andere wäre ein Stillstand bzw. eine Fehlaussage des Verbands.
Wenn man bedenkt, dass der gleiche Partner ab der kommenden Saison eine langjährige Partnerschaft mit der NHL eingehen wird und auch dort in der Statistik und Analytik aktiv sein wird, muss dies auf jeden Fall möglich sein.

Zuverlässige Daten sind äusserst wichtig

Allerdings bedarf es nicht nur die Einführung gewisser Kategorien – viel wichtiger ist eine genaue Messung der Daten, damit man sich auf die Qualität der Daten verlassen kann. Dies erfordert jedoch, dass die Statistiker, welche diese Daten erheben, auch richtig geschult werden und das Selbe bzw. die selbe Situation gleich messen. Bspw. bei einem Bully, bei dem im ersten Moment nicht klar ist, wer es für sich entscheidet. Da muss Konsens und das richtige Gespür vorhanden sein, sonst hat man zwar x-professionelle Kategorien, von welchen aber die Daten unterschiedlich erhoben wurden und somit nicht brauchbar sind. Hier lohnt sich eine Investition, um kompetente Statistiker zu schulen und somit eine saubere Datenqualität hinzubekommen. 

Die Aussage von Willy Vögtlin vom Verband

Vor allem, wenn man solche Aussagen hören muss: Willy Vögtlin, Verbandsangestellter, hat mir vor zwei oder drei Jahren allen Ernstes versucht zu überzeugen, dass ein Ersatztorhüter, der nicht zum Einsatz kommt, in der Statistik „Spiele“ ebenfalls als Spiel notiert wird. So wurde es dazumal auch tatsächlich auf der offiziellen Seite der Liga geführt. Sprich: wenn ein Torhüter #1 alle 50 Meisterschaftsspiele komplett bestritt und der Torhüter #2 keine einzige Einsatzminute in einer Saison aufwies, aber immer auf der Ersatzbank sass, beiden gleich viele Spiele in der Statistik notiert wurden, nämlich 50 Spiele… (!) Katastrophe! Immerhin konnte jemand Vögtlin davon wegbringen. Dies wurde in der Zwischenzeit angepasst und wird nun richtig geführt.
Ob der Verband nun einen grossen Pool an kompetente Statistiker für die Erhebung der verschiedensten Statistiken schulen wird, wage ich zu bezweifeln. Daher gehe ich davon aus, dass wir auch in der kommenden Saison nicht sehen können, wer in der NL A bspw. der beste Bullyspieler in der defensiven Zone ist, wer am meisten erste Assists im Powerplay erzielt oder welcher Torhüter die beste Fangquote im Unterzahl aufweist. Ihr geht mit mir einig: diese Daten wären relativ einfach zu erheben.

SHL als Vorbild

Ich hoffe trotzdem, dass ich positiv überrascht werde und wir in der kommenden Saison auf die selbe Stufe kommen, wie die schwedische SHL. Die SHL ist in dieser Hinsicht sehr fit und befindet sich aus Statistik-Sicht auf einer ähnlichen Stufe wie die NHL. Wie zuverlässig die Messungen sind, kann ich aber nicht beurteilen. Gegenüber der SHL steckt die Schweiz dagegen statistikmässig in den Kinderschuhen, analytikmässig ist öffentlich noch gar nichts zu sehen. In wie weit die Analytik öffentlich in Schweden fortgeschritten ist, entzieht sich ebenfalls meinen Kenntnissen. Ich gehe bei uns in der Schweiz aber davon aus, dass zumindest eine leise Analytik bei den Clubs betrieben wird. Hier sollte der Einfluss der NHL-erfahrenen Trainer wie Marc Crawford gross sein. Dieser Analytik-Berich sollte bzw. muss sich in naher Zukunft professionalisieren. Dies bringt nicht nur die Schweizer Clubs einen Schritt weiter, sondern das ganze Schweizer Eishockey würde - auch hinsichtlich der internationalen Turniere (WM, Olympia) - davon profitieren.
In der NHL hat sich die Analytik in den letzten Jahren nach Jahren der Unsicherheit (die Daten wurden von „professionellen Amateuren“ zwar erhoben, aber nicht wirklich einer grossen Beachtung geschenkt) verankert und nimmt mittlerweile eine grosse Stellung bei den Clubs ein. Auch personalmässig wurde aufgestockt und teaminterne Analytik-Spezialisten rekrutiert. Die überaus ausführlichen Statistiken in der NHL bilden die Basis der Analytik. Corsi, Fenwick oder Zone Entries sind nicht mehr nur Modewörter bei den Coaches, sondern Bestandteil des Coachings.

Beispiele

In der Schweiz sucht man aber bei der Basis vergeblich um zahlreiche banale Werte:

1. Beispiel: Anzahl Siege eines Torhüters.

Wie simpel… Ein weiser nordamerikanischer Eishockeyfachmann hat mal gesagt: „Der beste NHL-Torhüter einer jeden Saison ist jener, welcher am meisten Meisterschaftssiege aufweisen kann. Der beste NHL-Torhüter der Playoffs ist jener, welcher am Schluss den Stanley Cup in die Höhe stemmt.“ Ich würde nicht so weit gehen, denn allgemein gilt, dass Carey Price und Henrik Lundqvist aktuell die besten Torhüter der Welt sind. Siehe da – bezüglich der Meisterschaft stimmt die oben genannte Aussage: Price gewann am meisten Spiele. Auf die Playoffs bezogen waren es Ben Bishop und Corey Crawford, welche die meisten Siege aufweisen konnten. Sehr gute Torhüter, aber nicht auf der gleichen Stufe wie Price und Lundqvist.
Kommen wir zurück in die Schweiz: diese einfache und zugleich äusserst bedeutende Statistik ist nirgends auf der Liga-Seite zu finden (!).


2. Beispiel: Anzahl Shutouts eines Torhüters

Ein weiterer Wert, der in der Schweiz nicht zu finden ist und zwingend standardmässig in eine Goalie-Statistik integriert sein muss.

3. Beispiel: Tore (und Assists) im Überzahl

Die Powerplay-Spezialisten der Schweiz werden in der Schweiz Spezialisten genannt, nur schon weil sie vom Coach im Überzahlspiel eingesetzt werden. Doch die wahren Könner in dieser Kategorie der Special Teams sind jene die punkten. Hierfür gibt’s keine (öffentliche) Dokumentation.

4. Beispiel: Shootout-Spezialisten

Wer kennt den effizientesten Penalty-Schützen seines Lieblingsvereins?

5. Beispiel: Hits und Blocked Shots

Wer gehört zu den am härtesten spielenden Akteuren der Schweizer Liga? War es Timo Helbling in der letzten Saison, weil er am meisten Strafminuten kassierte? Dies wäre keine gute Folgerung. Die Kategorie Hits, also korrekte Checks, würde einen Hinweis auf die Härte machen. Bei den blockierten Schüssen würde man zudem eine Tendenz sehen, welcher Verteidiger in der eigenen Zone einen guten Job macht. Nicht, dass dieser Wert den besten Verteidiger auszeichnen würde. Doch einen guten Hinweis auf das Gesamtpaket eines Spielers gibt diese Statistik alleweil ab.

6. Beispiel: Faceoff-Statistiken

Wie bereits erwähnt: die Faceoff-Statistiken findet man nirgends, obwohl alle Teams dies intern zur Ermittlung ihrer Bully-Spieler benötigen. Sowohl in der offensiven als auch in der defensiven Zone (teamintern ebenfalls links und rechts): diese sind von grosser Bedeutung. Bullygewinn gleich Puckbesitz. Wie wichtig die Faceoffs sind, zeigt sich am besten im Über- und Unterzahlspiel.

7. Beispiel: Time On Ice per game

Im Jahr 2015 längst nicht mehr etwas Weltbewegendes, sondern gehört für mich zum Standard. Genug gesagt.

Fazit

Wenn dann einmal diese Basis errichtet ist, können wir in der Schweiz den nächsten Schritt zur Analytik wagen. Doch ohne eine zuverlässige und ausführliche Basis mit den vielen verschiedenen Kategorien der Statistik bleibt uns in vielen Fällen nichts anders übrig, als zu warten bis die selbsternannte beste Liga ausserhalb der NHL mit ihrem neuen Partner die nächsten Schritte angeht. Ob die National League A in Zusammenarbeit mit dem neuen Partner auf die kommende Saison 2015/16 mit einer ähnlichen Palette an Statistiken wie die SHL auffährt, wage ich zu bezweifeln. Doch lasse ich mich zumindest einmal vom Verband positiv überraschen. Es wäre enorm wichtig für den nächsten Schritt der Analytik und daher auch für die Zukunft des gesamten Schweizer Eishockeys. Es bleibt zu hoffen, dass Corsi, Fenwick oder Zone Entries auch in der Schweiz schon bald mal salonfähig werden, damit wir hier den internationalen Anschluss nicht verpassen.


Weiterführende Artikel:

Ein kürzlich erschienener Artikel zum Thema Analytik bzw. eine Analyse davon:
http://www.tsn.ca/talent/how-analytics-forecast-future-success-and-failure-1.355108

Hier eine Übersicht von möglichen Kategorien der Analytik:
http://war-on-ice.com/glossary.html

Eine etwas veraltete Analyse unserer Schweizer Verteidiger in der NHL. Hier sieht man, in welche Richtung die Analytik gehen kann und welche Erkenntnisse man u.a. gewinnen kann:
http://www.emptynet.ch/2014/06/20/wie-gut-sind-die-schweizer-verteidiger-wirklich/#more-214


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Bemerkung: Als Grundlage dieses Artikels wurde die Ligaseite auf der Verbandshomepage (www.sihf.ch) verwendet. Die vielen anderen Anbieter wie bspw. www.eliteprospects.com oder www.hockeyfans.ch, die zum Teil detailliertere Statistiken abbilden, wie die offizielle Ligaseite, wurden nicht berücksichtigt.